Wissenswertes rund ums Stillen – Expertentipps

Brust oder Flasche?
Und warum das Stillen so heiß diskutiert wird

Geht es ans Stillen, sind Mütter unglaublich verletzlich. Kein Wunder. Sie haben eben ein Kind geboren, Hormone und Gefühle fahren Achterbahn, die Erwartungen sind riesengroß. Man will alles richtig machen, dem Baby soll es gut gehen und im Kopf schwirrt das Bild der rundum glücklichen Familie herum. Das Stillen ist die erste Bewährungsprobe. Wenn dann nicht gleich alles klappt: Boom! – reißt einem die Realität gnadenlos die rosarote Brille vom Gesicht. Das Baby weint, die Brüste schmerzen und an Schlaf ist nicht zu denken. Kommt dann auch noch der Babyblues ins Spiel, geben viele Mütter auf. Manche noch vor dem Milcheinschuss, ein weiterer Teil nach einigen Tagen Quälerei. Und als wäre das Aufgeben an sich nicht schon das Schlimmste für das eigene Selbstwertgefühl, müssen sich die Flaschen-Mamis oft rechtfertigen für ihre Entscheidung. Bequemlichkeit und mangelnde Aufopferungsbereitschaft wird ihnen vorgeworfen, dabei haben sie selbst oft am meisten daran zu knabbern, dass ihnen die vielbeschworene Stillbeziehung verwehrt bleibt. Und diejenigen, die bewusst entscheiden, dass sie die Last der Kinder-Fütterung nicht alleine schultern wollen, müssen sich auf herbe Kritik einstellen. Ihre Stunde schlägt spätestens dann, wenn es die Langzeit-, Dauer oder Überall-Stillerinnen anzuprangern gilt. Respekt und gegenseitige Wertschätzung: Fehlanzeige! Bei der Stillkritik sind Mütter meist unter sich – und gnadenlos. Aber warum nur?

Vielleicht liegt es daran, dass einfach jede das Beste geben will. Jede Mama will eine tolle Mama sein, das sollen alle sehen, das müssen einfach alle sehen. Denn Lob, Bestätigung und Zuneigung sind essenziell, um den neuen, unbekannten und so anstrengenden Alltag zu überstehen. Wie aber soll man Lob für etwas ernten, das man genauso gut auch lassen könnte? „Stillen“ und „Nicht-Stillen“ sind entgegengesetzte Pole, wie links und rechts. Entscheidet man sich für das Eine, schließt das das Andere automatisch aus. Um dieses Dilemma zu lösen, müssen jede Menge Vorurteile und der Drang, sich durch die Herabwürdigung anderer selbst besser zu fühlen, abgelegt werden. Denn wer kritisiert, will eigentlich nur Bestätigung für seinen eigenen Weg. Macht man sich das bewusst, fällt es vielleicht leichter, den ein oder anderen Seitenhieb zu lassen und stattdessen zu loben. Sich als fiese Lästerliese zu fühlen, ist sicher auch nicht gut fürs Selbstwertgefühl. Außerdem gibt es Wichtigeres zu tun: Das Kind hat Hunger – und das ist der gemeinsame Nenner! Ob Brust oder Flasche – es muss gefüttert werden

Silke Overberg Hebamme Stillen Expertin

Experteninterview:

Wissenswertes rund ums Stillen

Silke Overberg, Hebamme                                                                                   in der Villa Adebar, Engelskirchen

1. Sie plädieren für das Stillen. Warum?

Brustmilch ist die natürliche Ernährung für ein Baby: Immer verfügbar, genau richtig temperiert, verursacht keine Kosten, ist leicht bekömmlich und versorgt das Baby mit allem, was es braucht. Die menschliche Brust ist dafür geschaffen, Babys zu ernähren.

2. Viele Frauen kämpfen am Anfang mit zahlreichen Schwierigkeiten. Wie gelingt ein guter Start, was sind die Klassiker unter den Still-Problemen und wie bekommt man diese in den Griff?

Sobal die Mutter nach der Geburt wieder ausreichend zu Kräften gekommen ist und ihr Neugeborenes halten kann, sollte sie es anlegen. Optimal sind 10 bis 12x in 24 Stunden. Wenn Ihr Baby zu schläfrig ist, um zu trinken, wecken Sie es bitte!
Anfangs bereitet zum Beispiel das korrekte Anlegen vielen Frauen Probleme. Vielen ist nicht bewusst, dass das Neugeborene nicht nur die Brustwarze in den Mund nehmen muss, sondern auch Teile des Warzenhofes. Klappt das nicht auf Anhieb, sind Mutter und Kind verunsichert und geraten in Stress.
Meist sind es nur kleine Tipps, mit denen sich scheinbar große Stillschwierigkeiten lösen lassen. Die Ursache für vermeintliche Stillprobleme ist oft einfach eine falsche oder fehlende Unterstützung! Eine gute Stillberaterin kann im richtigen Moment Wunder wirken.

3. Nach Bedarf Stillen, was heißt das und warum ist es so entscheidend?

Das liegt an der Größe des Magens eines Babys – er ist winzig. Am Tag der Geburt hat er die Größe einer Kirsche, am 3. Tag circa die Größe einer Erdbeere und am 10. Tag die Größe eines Hühnereis. Das heißt, der Magen eines Neugeborenen fasst nur wenige Milliliter. Muttermilch ist sehr bekömmlich und bereits nach etwa 90 Minuten verdaut. Dies führt unausweichlich dazu, dass das Baby mengenmäßig wenig, dafür aber sehr oft gestillt werden möchte.

Das Trinkverhalten Ihres Babys wird sich in den verschiedenen Entwicklungsphasen und je nach Nährstoffbedarf immer ändern und anpassen. Um diesen hohen Bedarf zu decken, sollten Sie Ihr Baby 8 bis 12 x in 24 Stunden stillen. Wie oft genau, das bestimmt allein Ihr Baby. Manche Babys sind schnelle und gierige Trinker, während wiederum andere eher gemütlich trinken, immer wieder kurz einschlafen und dann wieder weitertrinken. Das ist ganz normal, auch, ob ein Baby ausgiebig trinkt oder nur einen Schluck zu sich nimmt, ist normal und passt sich je nach Entwicklungsphase an.

4. Die Zeit des Stillens ist gerade am Anfang sehr kräftezehrend. Gibt es Tipps, die für etwas mehr Erholung sorgen können?

Die Wochenbettphase dauert ca. 6 bis 8 Wochen, in der JEDE Mutter mit einem Neugeborenen Ruhe braucht, egal, ob sie stillt oder nicht.
Mit dem neuen Mitbewohner zieht eine große Verantwortung ein. Der Hormonhaushalt spielt verrückt, man leidet an Schlafmangel und gleichzeitig versteht man oft nicht, warum das Baby weint. Dadurch fühlt man sich gestresst. Das Wochenbett sollte exklusiv den Eltern, dem Neugeborenen und eventuellen Geschwisterkindern zugutekommen. Hier geht es um Familienzeit: Sich kennenlernen, kuscheln und erholen. Konzentrieren Sie sich auf sich und das Baby und ignorieren Sie den Rest. 

Das Wochenbett heißt nicht umsonst WochenBETT und sollte nicht umfunktioniert werden zum WochenPUTZEN. Gönnen Sie sich eine Pause, und vor allem: Befreien sich selbst von dem Druck, jetzt Superwoman sein zu wollen und einen perfekten Haushalt zu haben. Nehmen Sie Hilfe an und fragen Sie nach Unterstützung, ob bezahlte Haushaltshilfe oder aus dem Freundes-/Familienkreis.

Natürlich ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung auf Dauer besser – aber, wenn Sie Lust auf Schokolade oder keine Zeit zum Kochen haben, bestellen Sie doch einfach etwas. Bitten Sie Ihre Gäste, einfach einen Kuchen mitzubringen. Kommen Sie und Ihre Familie erst mal zur Ruhe und warten mit Besuchen und Terminen so lange, bis Sie sich wirklich in der Lage dazu fühlen. Ob das nach drei Wochen oder erst nach drei Monaten ist – den Zeitpunkt dafür bestimmen alleine Sie.

5. Männer fühlen sich oft ausgeschlossen angesichts der engen Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind. Wie kann auch der Partner mit eingebunden werden?

Ohne euch, liebe Papas, gäbe es dieses wundervolle Baby nicht. Eltern sein ist so viel mehr als nur Stillen. Seien Sie füreinander da! Umsorgen Sie Ihre Frau. Machen Sie es der Mama bequem. Sorgen Sie dafür, dass die jungen Mamas mit Essen und ausreichend Flüssigkeit versorgt werden. Ganz wichtig: Motivieren, wenn nicht gleich alles klappt! Wickeln Sie Ihr Baby, tragen Sie es, wenn es unruhig ist und trösten Sie es, wenn es weint. Auch das Baden ist eine wunderbare Aufgabe, die der Papa übernehmen kann und bei der er Zeit mit dem Baby verbringt. Zugleich hat die Mutter einige Minuten für sich selbst.

6. Jede Phase geht einmal zu Ende, auch die des Stillens. Wann ist der beste Zeitpunkt dafür?

Die Empfehlung der World Health Organization (WHO, Weltgesundheitsorganisation) lautet: Ausschließliches Stillen bis zur Vollendung des 6. Lebensmonats und anschließend, unter Einführung der Beikost, ein Fortsetzen des Stillens bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres und darüber hinaus – solange es Mutter und Kind wünschen.
Allerdings wird die Empfehlung der WHO leider in keinem Industrieland erfüllt. Es ist eher das Gegenteil der Fall: Die Stillraten sind niedrig und die Formula-Hersteller haben einen weitreichenden Einfluss auf Politik und Gesellschaft. Dabei profitieren auch Kleinkinder enorm vom Stillen, was natürlich nicht bedeutet, dass ein dreijähriges Kind noch voll gestillt werden soll. Die Stillmahlzeiten ergänzen vielmehr die normale Ernährung. Auch die Betreuung durch Tagesmütter/ Kindergarten oder die Rückkehr der Mutter in die Berufstätigkeit sind keine Gründe abzustillen – Mutter und Kind können sich den Gegebenheiten in der Regel hervorragend anpassen.
Es gibt also nur zwei Menschen, die über den richtigen Moment des Abstillens entscheiden sollten: Die Mutter und ihr Kind.

Anna-Christin Böhm Kinderkrankenschwester Expertin

Experteninterview:

Wissenswertes rund ums Stillen

Anna-Christin Böhm,                                                                     Gesundheits-und Kinderkrankenpflegerin am                      Kinderkrankenhaus AmsterdamerStraße, Köln

1. Warum ist Stillen die beste Ernährung für Neugeborene??

Muttermilch bietet Ihrem Baby genau das, was es in seinen ersten Lebensmonaten braucht. Sie enthält alle wichtigen Nährstoffen in der optimalen Qualität und Menge, also die richtigen Eiweiße, Fette, Kohlenhydrate, Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitamine. Darüber hinaus passt sie sich der Entwicklung und den wachsenden Nahrungsbedürfnissen des Säuglings perfekt an. Vor allem das Kolostrum, so wird die Muttermilch der ersten Tage genannt, enthält wichtige Schutzstoffe, die das Immunsystem Ihres Babys unterstützt. Aber auch über die ersten Tage hinaus trägt die Ernährung mit Muttermilch maßgeblich dazu bei, das Allergierisiko Ihres Kindes zu reduzieren und es vor Krankheiten zu schützen.
Vor allem in den ersten Lebensmonaten fördert der intensive, enge Körperkontakt während des Stillens zudem die Bindung zwischen Mutter und Kind, Ihr Baby fühlt sich sicher und geborgen. Und auch den Müttern hilft die Nähe beim Stillen, die oft kräftezehrenden ersten Monate leichter zu überwinden.

2. Kann ich mein Kind auch stillen, wenn es zu früh geboren wurde?

Auf jeden Fall. Für frühgeborene Babys ist Muttermilch besonders wichtig. Sollte ein Kind zunächst noch zu schwach zum Saugen sein, kann es mit abgepumpter Muttermilch über ein Fläschchen oder eine Sonde ernährt werden. In der Klinik helfen Stillberaterinnen und Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen bei der Beratung und Betreuung rund um das Thema Stillen.

3. Welche Ernährung der Mutter ist während des Stillens optimal?

Die ideale Mischung besteht aus Gemüse und Obst, Vollkornprodukten, hin und wieder einem Stück Fleisch und mindestens einmal pro Woche Fisch. Veganerinnen sollten sich während der Schwangerschaft und Stillzeit beraten lassen, um Mängel zu vermeiden. Gänzlich wegzu-lassen sind Alkohol und Nikotin.
Oft haben Mütter die Sorge, dass ihr Baby durch z.B. scharfe Gewürze Blähungen oder einen wunden Po bekommt. Von vorneherein vermeiden, ist allerdings nicht nötig. Am besten in kleinen Mengen ausprobieren und schauen, wie und ob das Kind darauf reagiert.

6 % der Mütter berichteten von eher oder sehr negativen Erfahrungen beim Stillen in der Öffentlichkeit. 66 % der Bevölkerungsstichprobe finden grundsätzlich, dass Stillen immer und überall möglich sein sollte, von den Müttern sind 80 % dieser Meinung. Besondere Unterschiede zeigten sich beim Stillen in Restaurants und Cafés: Obwohl nur knapp 50 % der Befragten das Stillen hier befürworten, wird es von den Müttern mehrheitlich nicht vermieden (54 %). Insgesamt geht das Wissen über die Vorteile des Stillens mit einer größeren Akzeptanz von öffentlichem Stillen einher. 6% der Befragten vertreten eine ablehnende Haltung zum Stillen in der Öffentlichkeit.
(Quelle: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheits-forschung – Gesundheitsschutz Volume 61, pages 990–1000 (2018)

Stillen in der Öffentlichkeit:

Fast 90 % der Mütter beabsichtigten, ihr Kind nach der Geburt zu stillen, und 97 % dieser Mütter haben auch tatsächlich mit dem Stillen begonnen. Zu wenig Muttermilch wurde häufig als Problem genannt, sowohl von den Müttern, die beabsichtigt hatten zu stillen, jedoch nicht mit dem Stillen begonnen haben, als auch von Müttern, die ihre Säuglinge weniger als sechs Monate gestillt haben.
(Quelle: KiGGS-Studie des RKI)

Die Stillquoten für ausschließliches Stillen für mindestens vier bzw. sechs Monate (Geburtsjahrgänge 2012 bis 2016) lagen bei 40,0 % bzw. 12,5 %
(Quelle: KiGGS-Studie des RKI)